Solidarität mit den H5!

Fünf Menschen, die humanitäre Hilfe an der polnisch-belarussischen Grenze leisteten mit schweren strafrechtliche Vorwürfen. Ihnen drohen bis zu 5 Jahre Haft!

Der Strafprozess wird bereits im Herbst 2024 beginnen im Landesgericht in Hajnówka.

Seit 2021 herrscht an der polnisch-belarussischen Grenze eine humanitäre Krise, welche mit der Entwicklung der östlichen Migrationsroute zusammenhängt. Tausende von Menschen aus Ländern wie Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen, Somalia und vielen anderen sind in die Falle des belarussischen Regimes getappt als sie es versucht haben über Polen in die Festung Europa zu gelangen, um für ein besseres Leben und Sicherheit für sich und ihre Familien zu kämpfen. Die polnische Regierung reagierte darauf mit einer Politik der Gewalt und Pushbacks und die einzige wirkliche humanitäre Hilfe wurde von der lokalen Gemeinschaft und einem Netzwerk von basisorganisierten Gruppen, Kollektiven und Einzelpersonen geleistet. Diese Menschen wurden jedoch von Anfang an aufgrund ihrer Tätigkeiten kriminalisiert und fünf von ihnen müssen sich nun dieses Jahr wegen schwerer Straftaten vor Gericht stellen. Wir brauchen internationale Solidarität!

Die Geschichte der Fünf beginnt am 22. März 2022, obwohl jeder von ihnen schon seit langem humanitäre Hilfe an der Grenze zu Belarus leistete und einige von ihnen nach der russichen Invasion auf die Ukraine gleichzeitig auch an der Grenze zur Ukraine tätig waren. Neulich wurden vier von ihnen von Grenzschutzbeamteninnen festgenommen, als sie versuchten, einer siebenköpfigen Familie aus dem Irak und einem ägyptischen Staatsbürger zu helfen. Als sie aus dem Bedürfnis heraus, Menschen in einer Notlage helfen zu wollen, reagierten und ein Stück von der Grenze entfernt die Geflüchteten in ihren Autos ein Stück mitnehmen wollten, wurden sie von den Grenzschutzbeamt*innen angehalten. Die ersten Verhöre fanden erst am 23. März statt und die Vier wurden wegen der Organisation eines “illegalen” Grenzübertritts angeklagt. Ein Vorwurf, der nach polnischem Recht mit bis zu acht Jahren Haft bestraft wird. Am selben Tag durchsuchte die Polizei auch das Haus und das Grundstück einer Einwohnerin von Podlasie, die ebenfalls Humanitäre Hilfe leistet.

Die Staatsanwaltschaft beantragte eine dreimonatige Untersuchungshaft für die Vier, doch am 25. März lehnte das Landesgericht Hajnówka diesen Antrag ab und entschied, dass es keine Beweise für solch schwerwiegende Anschuldigungen und auch keine sonstigen Gründe für eine Inhaftierung gäbe. Nach fast 72 Stunden Haft sollten die Vier freigelassen werden. Zu diesem Zeitpunkt hatten jedoch nur drei Personen das Gerichtsgebäude verlassen. Einer der Angeklagten, der einen Pass eines anderen EU-Landes als Polen besaß, wurde erneut vom Grenzschutz festgehalten. Der Grenzschutz erließ wenige Stunden später eine überraschende und umstrittene Entscheidung, dass der festgenommene Polen verlassen soll und verhängte ihm ein fünfjähriges Einreiseverbot. Als Begründung seiner Entscheidung argumentierte der Grenzschutz, dass der Aktivist eine Bedrohung für die Sicherheit Polens darstellen würde.

Die folgenden Monate waren vom Warten geprägt. Der Grenzschutz, die Agentur für innere Sicherheit und die Staatsanwaltschaft luden weitere Personen zur Befragung als Zeug*innen vor. Schließlich unternahm die Staatsanwaltschaft in Hajnówka im Dezember 2023 zwei wesentliche Schritte:

  • Sie änderte die Anklage gegen die Vier von der Organisation des illegalen Grenzübertritts in eine Anklage wegen Beihilfe zum Aufenthalt von Personen, die die polnische Grenze “illegal” überschritten haben (Artikel 264a §1 Strafgesetzbuch)
  • Sie fügte eine fünfte Person als Angeklagte hinzu- eine Einwohner von Podlasie, deren Haus im März 2022 durchsucht wurde und die bisher als Zeugin in dem Strafverfahren aufgetreten ist.

Die gegen die Fünf erhobenen Vorwürfe klingen abstrakt. Laut der Staatsanwaltschaft bestand ihr “Verbrechen” darin, die Geflüchteten mit Lebensmitteln und Kleidung zu versorgen und sie “ins Land” zu bringen, was wörtlich bedeutet, sie aus dem Wald ein paar Kilometer in die nächste Stadt zu fahren. Darüber hinaus, so die Anklage, sollen die Fünf dies getan haben, um einen persönlichen Vorteil zu erlangen – aber nicht ihren eigenen, sondern den der Geflüchteten. Für diesen einfachen Akt der Menschlichkeit drohen ihnen nun bis zu fünf Jahre Haft.

Die Geschichte der Fünf ist nicht das einzige Beispiel für die Kriminalisierung der humanitären Hilfe in Polen. Ziemlich genau zur selben Zeit, als die vier am 22. März 2022 festgenommenen Personen vor Gericht für eine unangemessene Untersuchungshaft kämpften, nahm der Grenzschutz eine 20-jährige Freiwillige des “Klubs der Katholischen Intelligenz” fest und versuchte, sie ebenfalls wegen der Organisation eines “illegalen” Grenzübertritts anzuklagen. In diesem Fall stellte die Staatsanwaltschaft jedoch nach mehrmonatigen Ermittlungen das Verfahren wieder ein. Ein weiteres Beispiel ist die Geschichte von Ewa, die im September 2023 von den Behörden festgenommen wurde, nachdem ihr vorgeworfen wurde, eine organisierte kriminelle Gruppe anzuführen, die “illegale” Grenzübertritte organisieren würde. Es ist wohl nicht unbedeutend, dass die Verhaftung wenige Wochen vor den Parlamentswahlen erfolgte und von einem Medienaufruhr begleitet wurde, der auf dem Narrativ der Behörden und rechtsorientierter Politiker beruhte. Nach ihrer Festnahme verbrachte Ewa drei Wochen in Gewahrsam. Der Vorfall wird bald ein Jahr zurückliegen, und die Staatsanwaltschaft hat immer noch keine Anklage formuliert.

Der Fall der Fünf, die auf ihre Verhandlungstermine warten, ist Teil des größeren europäischen Kontextes der Kriminalisierung humanitärer Hilfe. Die Situation verschlimmert sich mit der Verschärfung der Migrationspolitik der EU-Mitgliedstaaten. Organisationen und einzelne Freiwillige, die sich an der Seenotrettung im Mittelmeer oder auf der osteuropäischen Route (Lettland, Litauen, Polen) beteiligen, sehen sich zunehmend mit dem Vorwurf konfrontiert, “illegale” Einwanderung zu unterstützen, Spionage zu betreiben oder sogar kriminellen Organisationen anzugehören. Solche Fälle – wie die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung von Ieva Raubiško (Lettland), der Kapitäninnen von Seenotrettungsschiffen Carola Rackete und Pia Klemp (Italien) oder die Geschichte von Anouka Van Gestel, Myriam Berghe, Zakia und Walid (Belgien), die angeklagt werden, weil sie Menschen auf der Flucht eine Unterkunft, Lebensmittel, Kleidung und Telefone zur Verfügung gestellt haben – zeigen, wie Dienste und Politikerinnen das Gesetz nutzen, um diejenigen einzuschüchtern und zu entmutigen, die Unterstützung leisten. Infolgedessen werden lebensrettende Maßnahmen als Verbrechen dargestellt, was zu schwerwiegenden psychologischen und operativen Folgen für die beteiligten Personen und Organisationen führt und ihre Fähigkeit einschränkt, sich für die Verteidigung der Menschenrechte einzusetzen.

Deshalb senden wir euch einen Aufruf zur Unterstützung und Solidarität. Wir laden euch ein, Informationen über den bevorstehenden Prozess zu verfolgen, diese Informationen weiterzugeben, Solidaritätsaktionen zu organisieren – jede Geste ist mehr als willkommen.

Wenn ihr daran interessiert seid, ein Treffen (online oder offline) über den Fall der Fünf zu organisieren, wendet euch an die Gruppe, die die Angeklagten unterstützt: h5support@riseup.net

#h5poland